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MICHA – Der Gott der Unterdrückten – Teil 3

Ein Input von Antonio Israel aus der Reihe: Micha

Fair handeln

Im Gottesdienst haben wir die Vision Gottes gesehen (Mi 4,1-4): Die Völker der Welt pilgern nach Jerusalem, um die Weisungen Gottes zu studieren und in ihrem Leben umzusetzen. Gerechtigkeit und Frieden werden dann herrschen. Reiche und Einflussreiche nutzen ihre Macht nicht aus, um auf Kosten anderer Menschen ihren Gewinn und Wohlstand zu maximieren. Sondern alle Menschen achten gemäß der Gebote Gottes darauf, dass jeder die Möglichkeit hat, sich selbst zu versorgen. (Lev 25, Mi 2-3)

Fragen:

  • Was löst diese Vision in der aus? Steckt sie dich an? Welche Fragen und Gedanken hast du zu dieser Vision?
  • Wir sammeln Ansätze: Was können wir tun, um Anteil an der Umsetzung dieser Vision Gottes zu haben? Gebet? Die Stimme erheben? Selbst handeln?

Der wahre Gottesdienst

Nach Micha 2-3 finden wir auch in Micha 6-7 einen größeren Block mit Klagen. Gott zeigt darin kein Verständnis für den Betrug der Händler und die Habgier der Mächtigen. Sie bringen diejenigen um ihre Rechte, die sich nicht wehren können. Die Folgen der Betrügereien werden gravierend sein. Tiefes Misstrauen wächst zwischen Nachbarn, Freunden und sogar Familienangehörigen.

Das Volk überlegt, wie es Gott dienen könnte. Durch Brandopfer? Durch tolle Gesänge? (Mi 6,6-8) Den einzigen Gottesdienst, den Jahwe will, ist Gerechtigkeit unter den Menschen: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Er fordert von euch nur eines: Haltet euch an das Recht, begegnet anderen mit Güte, und lebt in Ehrfurcht vor eurem Gott!“ Mi 6,8

Recht. Güte. Gottesfurcht. Damit fasst Micha 6,8 eine ganze Ethik zusammen. Sich an das Recht Gottes halten schafft Ordnung und Verlässlichkeit. Es schafft Frieden. Andererseits reicht es nicht immer aus, streng nach Recht vorzugehen, auf sein Recht zu pochen. Es gibt Situationen, da ist es heilvoller, gütig zu sein, auf sein Recht zu verzichten und Fünfe gerade sein zu lassen. Und es ist wichtig, vor Augen zu haben, dass wir nicht nur vor Menschen, sondern auch vor Gott verantwortlich leben. Gott kennt auch das Verborgene und die Motive unseres Handelns. Äußerlich kann manches gut erscheinen. Gott berührt uns jedoch auch im Inneren.

Jahwe, der Gott der Unterdrückten

Gott erhebt das ethisch gute Miteinander, den Dienst am Menschen zum Gottesdienst. Diese revolutionäre Aussage wird von zahlreichen anderen Propheten und Bibeltexten gestützt. Wir lesen:

Hos 6,6 Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.

Amos 5,21 […] an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Spr 14,31 Wer den Armen unterdrückt, verhöhnt dessen Schöpfer. Wer dem Hilflosen beisteht, der ehrt Gott. (Vgl. dazu auch Mt 25,34-40.)

Weitere Texte verdeutlichen, dass Gott eine besondere Nähe zu jenen Menschen aufbaut, die in irgendeiner Form benachteiligt sind gegenüber anderen Menschen, und dass er Gerechtigkeit einfordert:

Dtn / 5. Mose 24,19 Wenn ihr bei der Ernte eine Garbe auf dem Feld vergesst, geht nicht zurück, um sie zu holen. Lasst sie den Ausländern, Waisen und Witwen! Dann wird der HERR, euer Gott, euch bei all eurer Arbeit segnen. 20 Wenn ihr Oliven von den Bäumen schlagt, dann sucht die Zweige danach nicht mehr ab. Der Rest soll den Ausländern, Waisen und Witwen gehören! 21 Auch bei eurer Traubenernte haltet keine Nachlese! Überlasst sie den Ausländern, Waisen und Witwen. 22 Vergesst nicht, dass ihr einmal Sklaven in Ägypten wart. Darum haltet euch an diese Gebote!

Ps 72,1 Von Salomo.[1] Gott, lass den König an deiner Stelle Recht sprechen! Gib ihm deinen Sinn für Gerechtigkeit ins Herz! 2 Als oberster Richter soll er dein Volk unparteiisch regieren und den Rechtlosen zu ihrem Recht verhelfen. 3 Durch seine Herrschaft kann das Volk in Frieden leben, im ganzen Land wird Gerechtigkeit herrschen. 4 Der König wird für die Unterdrückten eintreten und sich zum Anwalt der Armen machen; die Unterdrücker aber wird er zerschmettern.

Ex / 2. Mose 20,9 Sechs Tage sollst du deine Arbeit verrichten, 10 aber der siebte Tag ist ein Ruhetag, der mir, dem HERRN, deinem Gott, gehört. An diesem Tag sollst du nicht arbeiten, weder du noch deine Kinder, weder dein Knecht noch deine Magd, auch nicht deine Tiere oder der Fremde, der bei dir lebt.

Ex / 2. Mose 21,1 Gib den Israeliten folgende Gesetze weiter: 2 Wenn ein Israelit sich wegen seiner Armut als Sklave an einen anderen Israeliten verkauft hat, soll er sechs Jahre lang für ihn arbeiten. Im siebten Jahr soll er freigelassen werden, ohne dass ihn jemand freikaufen muss.

Ex / 2. Mose 22,20 Unterdrückt die Fremden nicht und beutet sie nicht aus! Denn ihr selbst seid einmal Fremde in Ägypten gewesen.

Dtn / 5. Mose 14,28 In jedem dritten Jahr sollt ihr den zehnten Teil eurer Ernte in euren Städten und Dörfern sammeln und lagern. 29 Er ist für die Leviten bestimmt, die kein eigenes Land haben, und für die Ausländer, die Waisen und die Witwen. Sie können sich davon nehmen, was sie brauchen. Wenn ihr sie gut versorgt, wird der HERR, euer Gott, euch segnen und all eure Arbeit gelingen lassen.

Auch im Neuen Testament:

1 Kor 1,27 Gott hat das auserwählt, was in den Augen der Welt gering ist, um so diejenigen zu beschämen, die sich selbst für weise halten. Er hat das Schwache erwählt, um das Starke zu erniedrigen.

Lk 1,52 Er [Jesus] stürzt Herrscher von ihrem Thron, Unterdrückte aber richtet er auf. 53 Die Hungrigen beschenkt er mit Gütern, und die Reichen schickt er mit leeren Händen weg. 54 Seine Barmherzigkeit hat er uns, seinen Dienern, zugesagt, ja, er wird seinem Volk Israel helfen.

Fragen:

  • Inwieweit kann man davon sprechen, dass Jahwe ein „Gott der Unterdrückten“ ist. Entspricht dein Bild von Gott diesen Texten?
  • Ergeben sich aus dem Verständnis von Gott, er sei ein Gott der Unterdrückten, bestimmte Konsequenzen für:
    • dein Verhältnis zu Gott?
    • dein Verhältnis zu Armut und Schwachheit?
    • deine Lebensgestaltung, dein Handeln?
    • unser Verständnis von Gemeinde?
    • unsere Rolle als Christen in der Gesellschaft / unter Nachbarn und Kollegen?

Die Befreiungstheologie und die Option für die Armen

In der Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckten Christen in Lateinamerika, dass Jahwe im Besonderen an der Seite der Armen und Schwachen Menschen steht. Noch geprägt durch die Kolonialzeit war Lateinamerika strukturell abhängig von den Industrieländern. Der Wohlstand konzentrierte sich auf einen geringen Teil der Bevölkerung. Die meisten Menschen lebten in existentieller Armut. In evangelischen und katholischen Gemeinden wuchs die Erkenntnis, dass der Glaube an Jesus Christus sich nicht in dogmatischen Lehrfragen und schicken Kirchengebäuden erschöpfen kann. Wer Jesus nachfolgt, der sei Botschafter des Reiches Gottes, das Recht und Gerechtigkeit wirke.

Es entstanden Hauskreise und kleine Basisgemeinden in denen sich Analphabeten, Arme und Entrechtete sammelten. Im gemeinsamen Bibellesen verglichen sie die biblischen Grundsätze gemeinsamen Lebens mit ihrer eigenen Lebenssituation. Sie erkannten die Sünde nicht nur in persönlichen Verfehlungen, sondern ebenso in krankhaften gesellschaftlichen Strukturen. Kirche wurde als Gemeinschaft verstanden, die durch Gottes Geist und Weisungen getrieben dazu beiträgt, Menschen aus den Mächten der Sünde zu befreien (vor Augen stand vor allem die strukturelle Sünde).

Die so genannte „Befreiungstheologie“ wurde die christliche Erweckungsbewegung in Lateinamerika. Ihre Glaubenserkenntnisse wirkten weit hinein in die Kirchen Europas, Asiens und Afrikas. Obwohl sie ein krasser Gegenentwurf zum traditionellen klerikalen Kirchenverständnis Europas war, wurde sie innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche zu einer einflussreichen Bewegung. Nicht zuletzt weil 45% aller Katholiken in Lateinamerika leben.
Die lateinamerikanischen Bischöfe, die der Bewegung angehörten, entwickelten in den 1970er Jahren eine Richtlinie für das kirchliche Handeln. Den so genannten „Vorrang der Armen“ oder auch die „Option für die Armen“:

  1. Jesus ist der Messias, dem die Armen und Schwachen besonders am Herz liegen und der diese aufrichten möchte. Die Kirche richtet sich in ihrer Verkündigung des Evangeliums besonders diesen Menschen zu und befähigt sie, die Bibel zu lesen und auszulegen.
  2. Armut ist der Folge der Sünde. Menschen in Armut zu lassen, ist Sünde. Armut hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch soziale, seelische und geistliche Komponenten. (Sünde = Störung der Beziehungen)
  3. Die Bibel bezeugt, dass Gott sich in besonderer Weise an die Seite der Armen stellt. Es gehört zum Wesen der gesamten Kirche, sich an die Seite der Armen zu stellen. Es kann keine Parallelkirche nur für Arme und eine Kirche für die Reichen geben.
  4. Reichtum ist nicht verwerflich. Reiche sind gleichwertiger Teil der christlichen Gemeinschaft. Armut wird nicht verherrlicht. Nach der „Option für die Armen“ nimmt die Kirche jedoch die Perspektive der Armen ein, um ihr Handeln zu bestimmten.
  5. Die Kirche ist nicht zufrieden mit einem pflegerischen Dienst an den Armen. Sie ist daran interessiert, die Ursachen der Armut zu bekämpfen. (Beeinflusst von Dietrich Bonhoeffer: Dem Rad in die Speichen fallen.)
  6. Die Kirche engagiert sich nicht für die Armen, sondern mit den Armen. Sie fördert nicht Passivität, sondern aktiviert und stärkt die Schwachen.

Fragen:

Diskutiert über die Aspekte der „Option für die Armen“. Welche Punkte sprechen euch besonders an? Warum? Welchen Aspekt findest du anregend für die Gestaltung des eigenen Gemeindelebens / des eigenen alltäglichen Lebens?

Zwei Seelen in der Brust

Mit der Wahl Jorge Mario Bergoglios zum Papst Franziskus wurde das erste mal ein Südamerikaner Oberhaupt der katholischen Kirche. In seiner Wahl 2013 wurde der wachsende Einfluss Lateinamerikas und in Teilen auch der Befreiungstheologie innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche sichtbar. Die Widerstände innerhalb des Vatikans zeigen, wie gegensätzlich die Entwürfe von Kirche in Europa und Lateinamerika immer noch sind.

Fragen:

Welche Unterschiede in der Amtsführung im Vergleich zu seinem Vorgänger Papst Benedikt XVI sind uns in Erinnerung? Welche Anliegen von Franziskus sind uns in Erinnerung?

Papst Franzsikus, 2014:

„Ich wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“

Papst Franziskus spricht einen Grundkonflikt zwischen Öffnung/Begegnung einerseits und Sicherheit/Bewahrung andererseits an.

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Last modified: 11. Juni 2021

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